"Wo bleibt eigentlich die Person?"

Das Leibniz-Prinzip-Forum zu Digitalem Lernen und virtueller Kommunikation in Zeiten von Corona

Ein Artikel von Yannik Heheman


„Die Schule wird auf Qualifikation und Selektion reduziert“

 „Einige Schüler erreiche ich einfach nicht mehr“ 

„Wir befinden uns in der größten parallelen Lehrerfortbildung aller Zeiten"


 

Das Thema „Digitales Lernen und virtuelle Kommunikation“ ist allgegenwärtig und stellt die Schulen vor enorme Herausforderungen. Aber auch vor Corona wurde Digitalem Lernen eine besondere Bedeutung für die Gestaltung "moderner" Bildungsinstitutionen zugesprochen. Wie sehr wird das Digitale Lernen den Anforderungen des Bildungsauftrags gerecht? Welche Gelingensbedingungen müssen erfüllt sein? Über diese Fragen diskutieren Teilnehmende aus unterschiedlichen Bildungseinrichtungen im Leibniz-Prinzip Forum: Didaktische Werkstatt 2020. Passend zum Thema findet die Veranstaltung ebenfalls vollkommen digital statt.

Die kurze Einführung in die Möglichkeiten des Videokonferenztools zu Beginn gestalten Dr. Yvonne von Roux und Dr. Julia Labede, die auch durch das Programm führenden Organisatorinnen. Sie übergeben an den Direktor für Studium und Lehre der Leibniz School of Education Prof. Dr. Sascha Schanze, der in seinen Begrüßungsworten an das virtuelle Plenum den passenden, wenn auch herausfordernden, Zeitpunkt der Veranstaltung unterstreicht.

Digital-Forum Interaktiv

Der erste Input von E-Learning-Beraterin Dr. Jana Panke stellt die „Do’s and Don’ts“ virtueller Kommunikation dar. Sie weist zudem auf Besonderheiten hin, welche die Kommunikation im Digitalen von der in Präsenz unterscheiden: So führe die Abwesenheit vieler zwischenmenschlicher Elemente entgegen des Vorurteils des barrierebehafteten virtuellen Informationsaustauschs durchschnittlich zu einer erheblichen Verkürzung vieler – dann auf den Inhalt aber stärker komprimierter und damit zielführender – Meetings.

Während des Beitrags von Dr. Panke erhalten die Teilnehmenden auch praktisch einen Einblick in die Interaktionsmöglichkeiten virtueller Kommunikation: Über das Whiteboard des digitalen Meetingrooms in Adobe Connect fragt sie beispielsweise ab, mit welchen digitalen Kommunikationswegen das Publikum bereits Erfahrungen gemacht hat. Die Teilnehmer*innen können dann selbst virtuelle Gestaltungsmöglichkeiten zur Beantwortung erproben. Außerdem lässt sich jederzeit über den Gruppenchat mit den Chatteilnehmer*innen und Referent*innen in Kontakt treten oder für eine Wortmeldung bemerkbar machen. Nach dem Vortrag von Dr. Panke finden sich die Teilnehmer*innen gar in sogenannten Breakoutrooms wieder, digitalen Gruppenarbeitsräumen, in denen über einen Zufallsgenerator die Teilnehmenden in einzelnen Themengruppen zugeordnet werden. Dort werden mit vorbereiteten Materialien gruppenspezifische Fragestellungen zum Rahmenthema bearbeitet.

Zwischen Nähe und Distanz: "weinende Eltern" und "technische Hausmeister"

Bei der darauffolgenden Vorstellung der Ergebnisse im Plenum wird deutlich, dass die akut gesteigerte Notwendigkeit des Digitalen Lehrens und Lernens zuvörderst schulische Herausforderungen mit sich bringt: Schüler*innen verfügen nicht immer über Endgeräte, müssen sich Internetzeit mit ihren Eltern teilen und verlieren den emotionalen, einige gar den pädagogischen Kontakt zu Lehrenden. Außerdem manifestieren sich Veränderungen des Aufgabenfelds der Lehrperson, welche stärker zum „technischen Hausmeister“ wird (wie es eine Gruppe formuliert), sowie in den nutzbaren Vermittlungsformen: Gemeinsames Lernen ist sehr viel schwieriger umzusetzen, direkte Instruktion hingegen wird durch den Mangel an Störungen gegebenenfalls sogar erleichtert.

Im zweiten Teil der Veranstaltung werden diese Beobachtungen in einer digitalen Podiumsdiskussion eingeordnet. Prof. Dr. Till-Sebastian Idel, Schulpädagoge von der Universität Oldenburg, Rudolf Kleine-Huster, Didaktischer Leiter der IGS Kornsberg, Studiendirektor Bastian Eickelmann, Koordinator des Tabletkonzeptes an der Humboldtschule Hannover und Friedhelm Küppers, Moodlespezialist von der Hochschule Hannover vertiefen die aufgeworfene Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen digitaler Kommunikation und diskutieren Anregungen und Bedenken durchaus kontrovers.

Hier zeichnet sich ab, dass die sich bestätigenden Herausforderungen der Praxis („Ich habe plötzlich weinende Eltern am Telefon“) in der theoretischen Betrachtung („Wir erleben gerade die größte ungeplante Lehrerfortbildung aller Zeiten“) spannende Forschungsfragen aufwerfen: Wie verändert sich die Rolle der Lehrperson? Wie verändert sich die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden? Welche Veränderungen verfangen nach Corona? Zumindest temporär ändere sich die Rolle der Schule und verliere zum erheblichen Nachteil gerade jüngerer SchülerInnen als eigenständiger, von der Familie differenzierter Sozialisationsraum der Heranwachsenden an Relevanz; ein nach Meinung der Experten im medialen Diskurs kaum adressiertes Problem. Dem Digitalunterricht mangele es zudem verschiedenartig an pädagogischer Reichhaltigkeit, einige Erfahrungen wie haptisches Feedback seien nicht mehr abbildbar; vertiefende Diskussionen wesentlich karger, weil sich viele SchülerInnen online nicht mehr zu Wortmeldungen trauten. Es gälte immer wieder aufs Neue auftretende Nähe- und Distanzproblematiken auszutarieren sowie einer Vereinzelung beim Lernen zugunsten des Schaffens von sozialen Situationen entgegenzuwirken.

“Neue Rollen finden und auch mal entschleunigen”

Diesen Schwierigkeiten stünden aber auch Chancen gegenüber: In Mathematik, Biologie und Ethik gewönnen theoretische Fragestellungen durch Corona an praktischer Relevanz. Trotz des Erlebens technischer Gestaltungsgrenzen hat die Wucht der Krise auch die Möglichkeiten Digitalen Lernens in den Vordergrund gerückt. Relativ einig sind sich die Expert*innen auch bei der Frage danach, wie in den nächsten Monaten bei vorausgesetzt anhaltender Problemlage fortgefahren werden sollte. „Projektartig lernen, das Denken öffnen, neue Rollen finden und auch mal entschleunigen“, fasst Prof. Idel die einhellige Meinung zusammen. Schüler*innen und Eltern würden eben auch bemerken, setzt Prof. Idel ermutigend hinzu, dass sie auf die pädagogische Professionalität und das Engagement des Lehrpersonals in diesen schwierigen Zeiten bauen könnten – bei allem technischen Chaos.

Eine praktische Antwort auf die beschriebenen Herausforderungen findet sich in der abschließenden Vorstellung einer Initiative der Leibniz School of Education: #LernenVernetzt – Lehramtsstudierende unterstützen Lehrkräfte und Schüler*innen online beim Lehren und Lernen Helene Pachale vom Team Leibniz School Connect stellt die neu gegründete Intitaive #LernenVernetzt vor, in der Lehramtsstudierende sich ehrenamtlich engagieren, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler beim Lehren und Lernen zu Hause digital zu unterstützen. Dass diese Vernetzung auch universitätsintern Früchte trägt, zeigt die Gründung der Partnerinitiative #LernenVernetztInformatik, welche von Prof. Dr. Wolfgang Neijdl vom Institut für Verteilte Systeme vorgestellt wird. Ziel dieser Initiative ist es, dass Studierende der Informatik den Schulen bei Fragen zur digitalen Infrastruktur und technischem Support zur Seite stehen.

Zum Schluss bilanzieren die Moderatorinnen das erste digitale Leibniz-Prinzip Forum zum Thema „Digitales Lernen und virtuelle Kommunikation“ und holen Anregungen für die inhaltliche Gestaltung weiterer Foren ein. Die dabei auftretende vollkommene Auslastung des Chattools in der Videokonferenz, in dem Diskussionsstränge und Ideen fortwährend weitergeführt und vertieft worden sind, zeigt technische Grenzen auf. Gleichzeitig unterstreicht es den Diskussionsbedarf, den „digitales Lernen“ – insbesondere in Zeiten von Corona – aufwirft und das damit einhergehende Engagement des Plenums.